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Logisch – nicht ideologisch.

Dr. Lars Kaiser, VP Bank Head of Group Sustainability
Lesedauer: 6 Min
Beitrag im Liechtensteiner Vaterland im Rahmen der Nachhaltigkeitswoche

In einer Zeit, in der das Thema Nachhaltigkeit zunehmend polarisiert, zeigt sich, dass emotional geführte Debatten eine rationale Entscheidungsfindung erschweren können. Umso wichtiger ist es, ein sachliches Verständnis zu entwickeln. Eine einfache Formel verschafft Klarheit: Nachhaltigkeit = ESG + Wirkung. Dabei steht ESG für Environment (Umwelt), Social (Soziales) und Governance (Unternehmensführung). Grundlage der Formel ist das Prinzip der doppelten Wesentlichkeit: einerseits, was von aussen auf ein Unternehmen einwirkt (ESG), und andererseits, wie sich ein Unternehmen auf Umwelt und Gesellschaft auswirkt (Wirkung). Was das genau bedeutet, werden Sie am Ende dieses Artikels (hoffentlich) besser verstehen.

Drei Buchstaben, die die Welt bedeuten

ESG bezieht sich auf finanziell wesentliche Risiken und Chancen. Die Berücksichtigung dieser Informationen bei Anlageentscheidungen ist rational und Teil der treuhänderischen Pflicht von Finanzinstitutionen. Sie soll sicherstellen, dass diejenigen, die fremdes Geld verwalten, im Interesse der Kundschaft handeln und nicht ihre eigenen Interessen verfolgen. Genau hier liegt eines der grossen Probleme in der aktuell hitzig geführten Debatte.

Politisierung und Polarisierung

ESG wurde, insbesondere in den USA, zum Politikum und einer Grundsatzdiskussion zwischen Demokraten und Republikanern. So haben die republikanischen Gesetzgeber in New Hampshire (USA) Anfang 2024 einen Gesetzesentwurf eingebracht, der es der staatlichen Pensionskasse verbieten würde, in Fonds zu investieren, die ESG-Kriterien berücksichtigen. Ein Verstoss würde eine Straftat darstellen, die mit einer Freiheitsstrafe von bis zu 20 Jahren geahndet werden könnte. Ideologisch – nicht logisch.

Im Kern geht es dabei um die bereits erwähnte treuhänderische Pflicht von Finanzinstituten gegenüber den Begünstigten bzw. der Kundschaft. So lautet der Vorwurf der ESG-Kritiker, dass es sich bei der Berücksichtigung von Umwelt- und sozialen Kriterien um eine ideologische Motivation handelt, die nicht im finanziellen Interesse der Kundinnen und Kunden ist und somit gegen die treuhänderische Pflicht verstösst.

Die Schwierigkeit: für jedes komplexe Problem gibt es eine Antwort, die klar, einfach und falsch ist. So kann die Berücksichtigung von Umweltaspekten ideologisch motiviert sein, muss aber nicht. Denken Sie an ein Ferienhaus in den Bergen, das in einem lawinengefährdeten Gebiet steht. Früher gab es alle 25 Jahre eine Lawine, die bis an die Grundstücksgrenze reichte. Durch den Klimawandel nimmt die Lawinenhäufigkeit und -intensität zu. Damit steigt das (finanzielle) Risiko. Logisch – nicht ideologisch.

Unfassbar

Für Unternehmen gilt, vereinfacht gesagt, dass der Unternehmenswert dem heutigen Wert des zukünftig erwartbaren Erfolgs entspricht. Nun stellt sich die Frage, was beeinflusst den zukünftigen Unternehmenserfolg? Glauben Sie, dass sich immaterielle - also nicht fassbare - Vermögenswerte wie Mitarbeiterzufriedenheit, Reputation oder Kundenbindung auf den zukünftigen Unternehmenserfolg auswirken? Meine These: zufriedene Mitarbeitende sind produktiver, was sich vorteilhaft auf den Unternehmenserfolg auswirkt. In diesem Punkt stimmen Sie mir aus eigener Erfahrung vielleicht noch zu. Doch, wie messe ich die Zufriedenheit der Mitarbeitenden, und wie quantifiziere ich den Zusammenhang zwischen der Zufriedenheit heute und dem Unternehmenserfolg morgen? Sie sehen, keine leichte Aufgabe und folglich stellt es auch Finanzinstitute vor eine Herausforderung diese Aspekte zu beurteilen und in ihre Investitionsentscheidungen einfliessen zu lassen.  

Globale Zusammenhänge

Noch komplexer wird es, wenn wir globale Themen wie Treibhausgase einbeziehen. Nehmen wir Japan als Beispiel. Japan will seine Treibhausgasemissionen bis 2030 um 46 Prozent gegenüber 2013 reduzieren und bis 2050 Netto-Null-Emissionen erreichen. Ohne die Einführung einer CO2-Steuer wird dieses Ziel kaum zu erreichen sein. Doch selbst wenn Japan oder andere ambitionierte Länder ihre Ziele erreichen - was passiert, wenn der Rest der Welt weiterhin ungebremst Treibhausgase ausstösst? Wie wirkt sich das auf die Unternehmen in Japan aus, und werden sie am Ende doppelt bestraft, nämlich erstens durch geringere Wettbewerbsfähigkeit aufgrund höherer Kosten und zweitens durch die Folgen des Temperaturanstiegs?

Sehen wir uns hier ebenfalls in der Verantwortung? Als Gesellschaft? Als Land? Als Privatwirtschaft? Als Einzelperson? Das bringt uns zum zweiten Aspekt der doppelten Wesentlichkeit: Wirkung.

Im Kern geht es bei ESG um die bereits erwähnte treuhänderische Pflicht von Finanzinstituten gegenüber den Begünstigten bzw. der Kundschaft.

Dr. Lars Kaiser VP Bank Head of Group Sustainability
ESG ≠ Wirkung

ESG beschreibt externe Faktoren, die auf das Unternehmen einwirken und aus finanzieller Sicht relevant sind. Der Wirkungs-Aspekt beschreibt, wie sich das Unternehmen auf Umwelt und Gesellschaft auswirkt. Doch warum ist diese Unterscheidung wichtig? Ein Unternehmen, das effektiv darin ist, ESG-Kriterien zu managen, die von aussen einwirken, ist nicht zwangsläufig auch gut darin, die Auswirkungen der eigenen Geschäftsaktivitäten auf Umwelt und Gesellschaft zu steuern. Doch warum ist das so?

Erst einmal ist festzuhalten, dass sich sowohl eine positive Wirkung als auch eine negative Wirkung ergeben kann. Konkret bedeutet das, Unternehmen haben zwei Stellschrauben: negative Auswirkungen zu reduzieren (Fussabdruck) und positive Auswirkungen zu fördern (Handabdruck).  Der Fussabdruck spiegelt die Belastung wider, die das unternehmerische Handeln auf Umwelt und Gesellschaft hat, wobei der Handabdruck die positive Auswirkung widerspiegelt, die realisiert bzw. ermöglicht wird.

Der Wirkungsmechanismus erfordert vor allem Verantwortungsbewusstsein und die Erkenntnis, dass das eigene unternehmerische Handeln Auswirkungen auf Umwelt und Gesellschaft hat. Es braucht die Bereitschaft, zu reflektieren und sich einer unangenehmen und möglicherweise kostspieligen Realität zu stellen. Warum kostspielig, fragen Sie sich? Die Wahrnehmung war und ist teilweise noch, dass natürliche Ressourcen weitgehend kostenlos zur Verfügung stehen, z.B. saubere Luft, Wasser und biologische Vielfalt. Zunehmend zeigt sich aber, dass die Rechnung mit Verzögerung kommt und gegebenenfalls deutlich höher ausfällt als erwartet.

Rückkopplung

Ebenso gibt es eine Rückkopplung zwischen ESG und Wirkung. Kehren wir zum Beispiel der Berghütte zurück. Um die Berghütte zu heizen, schlägt der Besitzer Bäume in der Umgebung und verbrennt sie im Ofen. Beim Verbrennen des Holzes wird CO2 freigesetzt. Gleichzeitig können die gefällten Bäume kein CO2 mehr binden und die Klimaerwärmung nimmt zu. In der Folge steigt das Risiko von Gebäudeschäden durch die bereits erwähnte Zunahme der Lawinenhäufigkeit. Die nun fehlenden Bäume bieten keinen Schutz mehr vor Erosion und Schneemassen.

Wir sind uns einig, dass die Beheizung der Berghütte nicht ausschlaggebend für das vorliegende Problem der Klimaerwärmung mit all seinen Konsequenzen ist, aber sie steht exemplarisch für die Verflechtung von ESG und Wirkung und zeigt, wie das eigene Handeln einen negativen und zugleich schwer quantifizierbaren Effekt auf die Umwelt hat, der in der Folge zu einem konkreten finanziellen Risiko wird.

Nachhaltigkeit = ESG + Wirkung

Ich habe argumentiert, dass die Berücksichtigung von ESG-Kriterien Teil der treuhänderischen Pflicht ist, sofern diese Kriterien den finanziellen Erfolg eines Unternehmens beeinflussen. Folglich müssen diese ESG-Kriterien bei Investitionsentscheidungen von Finanzmarktteilnehmern berücksichtigt werden. Logisch - nicht ideologisch. Nachhaltigkeit ist aber mehr. Sie umfasst auch negative und positive Auswirkungen auf Umwelt und Gesellschaft und ist damit ein umfassenderes Konzept als ESG. Wenn Sie also das nächste Mal auf ESG angesprochen werden, können Sie ruhig und emotionslos bleiben, denn ESG ist wichtig, aber nichts Besonderes. Es ist wie andere Faktoren relevant für den langfristigen Unternehmenserfolg und damit auch für den Wert Ihrer Geldanlage. Aber die Welt wird dadurch nicht besser, dazu braucht es mehr: Wirkung. Logisch.

#Nachhaltigkeit